Sehnenrehabilitation – Belastungsstufenmodell am Beispiel der Patellasehne

Die Patellasehne und ihre Aufgaben

Der vordere Oberschenkelmuskel, die Patella mit ihrem bandartigen Halteapparat und die Patellasehne bilden eine funktionelle Einheit für die Kraftentwicklung und Gelenkstabilisierung.[1] Die Patellasehne agiert dabei als Erweiterung der Quadricepssehne. Ihre Aufgabe besteht darin, die Kraft des vorderen Oberschenkelmuskels über die Patellasehne zum Unterschenkelknochen zu übertragen.

Abb.1: Die Patellasehne

Anpassung einer Sehne und wie kommt es zu einer Pathologie

Sehnen müssen ständig in der Lage sein, erhebliche Kräfte aufzunehmen, zu speichern und wieder abzugeben. Eine Zunahme der Muskelkraft muss dementsprechend durch eine Anpassung der Sehne begleitet sein. Ihre Anpassung einer Sehne an Belastung vollzieht sich jedoch langsamer als dies beispielsweise bei Muskelgewebe der Fall ist. Bedeutet, dass ein Ungleichgewicht zwischen Muskel- und Sehnenkapazitäten entstehen kann, das wiederum die gesamte Funktion einer Körperregion beeinträchtigen könnten. Wird anschließend dieses Ungleichgewicht weiter ausgereizt und der Sehne keine ausreichende Regeneration zugestanden, kann es im Verlauf zu strukturellen Veränderungen selbiger kommen. Aus diesen entstehen dann wiederum die für eine sogenannte Tendinopathie charakteristischen Schmerzen, eine Verdickung der Sehne sowie Leistungseinbußen.

Die Patellatendinopathie

Die Patellatendinopathie beschreibt eine häufige Überbelastungserscheinung, die sich durch Schmerzen im Knie äußert. Vor allem schnelle, wiederholende Handlungen wie Beschleunigen und Abbremsen oder Springen und Landen stellen eine enorme Belastung für Patellasehne dar. Aus diesem Grund tritt die Patellatendinopathie häufiger bei Sportarten auf, in denen diese Bewegungen elementar sind.
Übrigens: Die Begriffe Patellaspitzensyndrom, Jumpers Knee soder auch Patellatendinopathie repräsentieren die gleiche Pathologie der Patellasehne und werden dementsprechend häufig synonym zueinander verwendet.

Symptomatik und Diagnostik

Das Hauptsymptom einer Patellatendinopathie ist ein durch die betroffene Person lokalisierter Schmerz, welcher durch Abtasten des betroffenen Areals hervorgerufen werden kann. Zudem kann eine mögliche Schwellung im betroffenen Bereich ertastet werden. Um eine aussagekräftige Beurteilung fällen zu können, wird der „single leg decline squat“ empfohlen. Dabei stellt sich der Patient auf einen 25°-Keil und macht einbeinige Kniebeugen bis mindestens 90°. Primär soll dadurch die Schmerzintensität während der Bewegung gemessen werden.
Bei sportlicher Betätigung kann das Warm-Up-Phänomen beobachtet werden. Hierbei verschwindet der beschriebene Schmerz im Laufe des Aufwärmens und kehrt erst mit steigender Belastung oder nach der Belastung zurück.
Um eine Einschätzung über die Schwere der Patellatendinopathie zu erhalten, haben Wissenschaftler nachfolgend eine beispielhafte Klassifizierung der Patellatendinopathie vorgenommen.

Stufe Symptome
0 Kein Schmerz
1 Schmerzen nur nach intensiver sportlicher Betätigung: keine übermäßige Funktionsbeeinträchtigung
2 Schmerzen zu Beginn und nach der sportlichen Betätigung: noch zufriedenstellendes Leistungsniveau
3 Schmerzen während der sportlichen Betätigung: zunehmende Schwierigkeiten zufriedenstellende Leistung im Sport zu erbringen
4 Schmerzen während der sportlichen Betätigung: Unfähig, Sport auf einem zufriedenstellenden Niveau zu treiben
5 Schmerzen bei täglicher Aktivität: Unfähig, Sport zu treiben

Behandlungsmodell der Patellatendinopathie

Das Primärziel der Trainingstherapie besteht darin, die Belastungstoleranz der Patellasehne zu stärken. Um dies zu erreichen, wird zunächst versucht, durch Belastungsmanagement die Schmerzen zu reduzieren. Um den Zustand der Sehne zu Beginn der Behandlung einschätzen zu können, kann sich der beispielhaften Tabelle bedient werden. Darüber hinaus sollte die Dauer der Beschwerden nach einem sehnenbelastenden Training beobachtet werden. Anhaltende Beschwerden über 24 Stunden nach der Belastung weisen auf ein reaktives Stadium der Erkrankung hin, während ein Abklingen der Beschwerden bei einem geringeren Schmerzniveau in den ersten 24 Stunden nach der Belastung auf einen wenig irritativen Zustand der Sehne hindeuten würde. Der 24-Stunden-Belastungstest wird dabei mit Hilfe des bereits erwähnten Single-Leg-Decline-Squat durchgeführt werden. Wird durch anhaltende Beschwerden nach der Belastung auf ein reaktives Stadium geschlossen, sollte eine angesprochene Belastungsreduktion sowie die Minderung aller schmerzprovozierenden (Trainings-)reize erfolgen. Es sollte jedoch keine vollständige Sehnenentlastung vorgenommen werden, da hierdurch die Belastungsfähigkeit der Sehne und der dazugehörigen funktionellen Einheit weiter verringert werden würde. Um die gewünschten Anpassungen an der Sehne auszulösen und ihre Belastungstoleranz zu stärken, bedarf es mechanischer Belastung der Sehne. Diese wird durch die Kontraktion des vorderen Oberschenkelmuskels hervorgerufen.

Stufe Beginn Dosierung
1: Isometrische Belastung
  • Schmerz >3/10 VAS unter isotonischer Belastung
  • 5 x 45 s>/li>
  • 2-3 x/Tag
  • Schmerzadaptierte Progression auf 70% der maximalen willkürlichen Kontraktion
2: Isotonische Belastung
  • Schmerz ≤3/10 VAS unter isotonischer Belastung
  • 3–4 x 15RM-6RM
  • Jeden 2. Tag
  • bis zur Ermüdungsgrenze
3: Energiespeicherung A) Ausreichende (symmetirsche) Kraft: z.B. 150 % KG (4 x 8)
B) Belastungstoleranz mit initialen energiespeichernden Trainingsvarianten (Schmerz ≤3/10 VAS während Training und Normalisierung innerhalb 24 h in Belastungstest *)
  • Erst Volumen und dann Intensität (der sportspezifischen, energiespeichernden Trainingsvarianten)
  • Progressiv steigern
4: Return to Sport Belastungstoleranz in sportartspezifischen Prozessionen der energiespeichernden Trainingsvarianten*
  • Progressive Trainingsbelastung
  • Wettkampfbelastung, wenn Trainingsbelastung toleriert wird

Stufe 1: Schmerzreduktion durch isometrische Belastung

In der ersten Phase der Rehabilitation sollte mit isometrischen Übungen begonnen werden. Diesen wird bei Tendinopathien ein schmerzstillender Effekt nachgesagt, weshalb sie prädestiniert für die Frühphase der Rehabilitation erscheinen.

Stufe 2: Langsame dynamische Bewegungen

Sobald langsame, dynamische Übungen mit minimalen Schmerzen durchgeführt werden können, sollte mit diesen begonnen werden. Bei der Durchführung sind einseitige Übungen vorzuziehen, sodass die betroffene Seite nicht durch die nicht-betroffene Seite – wie dies bei beidseitigen Übungen geschehen könnte – kompensiert werden kann. In dieser Phase ist das Hauptziel die Steigerung der Belastungstoleranz im funktionellen Bewegungsausmaß. Die isometrischen Übungen aus Stufe 1 sollten an den trainingsfreien Tagen im Hinblick auf das Schmerzmanagement weiterhin durchgeführt werden.

Stufe 3: Schnelle dynamischer Bewegungen

Bevor eine Rückkehr zum Sport möglich ist, sollte aufbauend auf die langsamen, dynamischen Übungen die Belastungstoleranz der Muskel-Sehnen-Einheit durch Schnellkraftübungen weiter gesteigert werden. Diese können aus Sprüngen, Landungen, Beschleunigen, Abbremsen und Richtungswechseln bestehen. In dieser Phase der Rehabilitation ist das Belastungsmanagement aufgrund der hohen Beanspruchung der Sehne essenziell. Es gilt Trainingshäufigkeit, -umfang und -intensität individuell anzupassen. Die allmähliche Entwicklung in Richtung der sportartspezifischen Belastung sollte sich vor allem in dieser kritischen Rehabilitationsphase an das Schmerzempfinden des Patienten richten.

Phase 4: „Return to Sport”

Der finale Wiedereinstieg in das sportartspezifische Training kann erst dann erfolgen, wenn die betroffene Person die relevanten Sehnenanforderungen in ihrer Sportart toleriert. Durch die jeweiligen Sportarten wird die Belastung der Sehne durch Sprünge, Richtungswechsel und Sprints weiter gesteigert. Es gilt das Training der Sehne über die Rehabilitation hinaus fortzuführen, damit diese auch in Zukunft schmerzfrei und belastbar bleibt.

Zusammenfassung:

Häufig treten Patellatendinopathien aufgrund einer Überbeanspruchung der Sehne auf. Ein klar lokalisierbarer Schmerz ist die Folge. Des Weiteren können Schwellungen und Funktionseinschränkungen auftreten, die jedoch bei einem Warm-Up vorrübergehend verschwinden können. Um die Patellatendinopathie nachhaltig zu behandeln, bedarf es eines langfristig, strukturiert und progressiv verlaufenden Rehaplans. Die Belastungssteuerung sowie die Schmerzanamnese sind während des gesamten Therapieverlaufs entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche Behandlung. Zunächst sollte auf isometrische Übungen für den Quadriceps zurückgegriffen werden, bevor langsame dynamische Übungen in den Trainingsprozess aufgenommen werden. Erst im späteren Verlauf sind schnelle, dynamische Bewegungen wie Sprünge und Richtungswechsel anzuwenden. Diese sollten schmerzfrei durchführbar sein, um in den jeweiligen Sport zurückkehren zu können. Bei der Belastungssteuerung während des gesamten Rehaprozesses hilft der Single-Leg-Decline-Squat als Schmerzprovokationstest. Der Test sollte 24 Stunden nach der Belastung durchgeführt werden. Bei einem Wert unter 4 kann die Belastung gesteigert beziehungsweise gehalten werden. Sollte die Schmerzskala über 4 liegen, ist die Belastung zu reduzieren.

Literatur

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Bildnachweis

Abb.1: Die Patella: https://eref.thieme.de/cockpits/clsport0001clAna0001/0/coAna00019/4-4262)
Abb. 2: Strukturelle Veränderungen von Sehnen bei Tendinopathie (Millar et al., 2021, S. 2)
Tab. 1: Klassifikation der Symptome und Partizipationsmöglichkeiten nach Vulpiani et al. (2007) (Aus dem englischen übersetzt)
Tab. 2: Vierstufiger Rehabilitationsverlauf bei Patellasehnentendinopathie nach Malliaras et al., 2015 (aus Reuter, 2021).